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Die Stadtrandsiedlung Kassel - Süsterfeld
Quelle Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Siedlung
Am Brückenweg entlang, der parallel zur Leuschnerstraße und dem 5.Süsterfeldweg verläuft, fließt ein Feldbach, der seit Jahrhunderten der „Süster" genannt wird. Dieser Feld- und 'Wiesenbach beginnt seinen Lauf oberhalb des Brückenweges, fließt unter dem Bahndamm der Main-Weser-Bahn und der Waldkappeler Bahn hindurch und ergießt sich in die Teiche des Parks Schönfeld. An den beiden Seiten des „Süster" sind die Flurbezeichnungen „Auf dem Süster", „Hinter dem Süster" und „Vor dem Süster". Die Wege, die von Niederzwehren zu der Gemarkung „Auf dem Süster" führten, hatten von dieser Gemarkung ihren Namen. Die jetzige Leuschnerstraße, früher ein schmaler Feldweg, wurde „Am obersten Süsterweg" genannt. Auch gab es die Feld- und Wiesenwege „Am untersten Süsterweg" und „Am Süsterweg". Von dieser alten Flurbezeichnung „Auf dem Süster" und dem Bach „Der Süster" hat die im Jahre 1932 entstandene Stadtrandsiedlung Süsterfeld ihren Namen.
So bedeutungsvoll diese fünfundzwanzig Jahre der Stadtrandsiedlung für jeden Siedler und seine Familie auch sind, neben der tausendjährigen Geschichte mancher Städte und Dörfer unseres Hessenlandes ist es nur eine sehr kurze Zeit. Doch „Der Süster" und die Flurbezeichnung „Auf dem Süster" sind schon sehr alt; die Ansiedler und Erbpächter in Niederzwehren haben ganz gewiss schon vor vielen Jahrhunderten diesen Namen geprägt. Es sind mancherlei Erklärungen für „Süster" bekannt: Auf dieser Niederzwehrener Gemarkung soll früher einmal ein Nonnenkloster gestanden haben. „Süster" wird abgeleitet von dem englischen „Sister" = Schwester. Das Gelände gehörte zu dem Kloster, zu den Schwestern, und wurde das „Sisterfeld" genannt. Eine andere Erklärung gibt Oberbaurat Scheele, der sich sehr eingehend mit der Erklärung der Kasseler Straßennamen und Flurnamen befasste. Nach seinen Aufzeichnungen ist der Name „Süsterfeld" von der Gemeinde Wehlheiden geprägt. Die Felder lagen vom Ort Wehlheiden nach Süden orientiert, sie wurden deshalb „Südfeld" oder Süsterfeld genannt.
Es ist noch eine dritte Erklärung bekannt, die besagt, dass auf den Feldern große Anpflanzungen von Zuckerrüben waren. Von daher wurde dem Gelände der Name „Süßfeld" = Süsterfeld gegeben. — So einleuchtend diese drei Erklärungen auch sein mögen, in den alten Aufzeichnungen sind sie nicht zu finden. Das trifft nun für die nächste Erklärung des Namens „Süsterfeld" zu, die wir uns zu eigen machen wollen. Aus den alten Kartenblättern, die sich in Kasseler Archiven befinden, geht hervor, dass sich die Flurnamen Süster allein auf dem Niederzwehrener Gelände befinden. Aus der beigefügten Planzeichnung ist das zu ersehen. Der Flurname kann also nicht von Wehlheiden oder Wahlershausen her geprägt sein, sondern nur von Niederzwehren. In den alten Zeiten lebten in den Dörfern die Bauern. Sie wählten aus ihrer Mitte auch den Bürgermeister, waren aber mit dem Roden des Landes, mit dem Säen und Ernten so sehr beschäftigt, dass sie die Geschichtsforschung und das Schreiben der Dorfchronik ihrem Dorfpfarrer überließen, der in die Kirchenbücher nicht nur die Taufen und Eheschließungen und Sterbefälle eintrug, sondern auch die Geschichte des Dorfes niederschrieb. So finden sich auch in der Pfarrei Niederzwehren, die früher mit einem Metropolitan besetzt war, Aufzeichnungen über das Süsterfeld. Danach war die Niederzwehrener Gemarkung, eine der größten in Hessen, in drei große Abschnitte eingeteilt, die nach dem Dreifelder-System bestellt wurden: Das Wüstenfeld gegen Osten, nach der Neuen Mühle zu. Das Langefeld oder Hohenrodsfeld gen Süden, nach Rengershausen und der Knallhütte zu.
Das Süsterfeld gegen Norden und Westen bis nach Schönfeld und zum Habichtswald.
An den Namen lässt sich noch jetzt der allmähliche Obergang vom Weideland zum Ackerbau und die Zeitfolge, in der die Feldmark gerodet wurde, erkennen.
Offenbar hat man zuerst das fruchtbare gegen Osten sich abdachende Wüstenfeld angebaut, dann das höher gelegene Langefeld oder Hohenrodsfeld, in dessen Namen sich das Andenken an die Rodung erhalten hat, und zuletzt das nach dem Wald gelegene Süsterfeld, dessen Name noch jetzt seine ursprüngliche Bedeutung als Weideplatz verrät. „Süster" wird nach den Aufzeichnungen der Pfarrei Niederzwehren abgeleitet von dem althochdeutschen Wort „scaza", das heißt Weideplatz. „Auf dem Süster" heißt also „Auf dem Weideplatz", und der Niederzwehrener Kuhhirte hat in den Sommermonaten jeden Morgen seine Kuhherde auf dem Süsterweg vor sich hergetrieben und sie „Auf dem Süster" weiden lassen. Niederzwehren, und damit auch das Süsterfeld, gehörte, ebenso wie Oberkaufungen, Kassel, Rothenditmold, Harleshausen, Wehlheiden und andere Dörfer, zu dem Hausbesitz von Heinrich II. (1002—1024). Durch die Gründung des Klosters Oberkaufungen im Jahre 1008, das Heinrich II, seiner Gemahlin Kunigundis schenkte, trat auch Niederzwehren zu dem Kloster in nähere Beziehung.
Es war eine der Hauptaufgaben der Klöster, die damals noch unbebauten Gegenden, von denen es gerade im Fuldatal noch viele gab, zu roden und urbar zu machen. Da aber die Klöster selbst weder die Rodung durchführen noch die Einrichtung von Bauernhöfen betreiben konnten, überließen sie den Boden an die sogenannten „Colonen" in Erbpacht unter der Bedingung, dass er gerodet und mit Haus und Hof versehen werde. In Niederzwehren waren solche Erbpächter. Diese standen in einem Lehnsverhältnis zu dem Kloster Oberkauf ungen. Der Bauer, der ein Lehen vom Kloster trug, hatte gewöhnlich einige Tage in der Woche in dem Kloster oder auf dem Acker persönlich Dienste zu leisten.
Um die Einkünfte des Klosters Oberkaufungen zu mehren, schenkte Landgraf Ludwig IV, von Thüringen auf Bitten seiner Mutter, der Äbtissin Lutgardis, durch Verordnung vom 7. April 1224 dem Kloster den ganzen Novalzehnten des Ortes Niederzwehren, bestehend aus Lieferungen von Korn, Hafer, Weizen und Gerste.
Über 700 Jahre hat Niederzwehren diese Abgaben bringen müssen, bis dieselben am 24. Juli 1839 durch Vermittlung der Landeskreditkasse in Kassel gegen ein an das Stift Oberkaufungen zu zahlendes Kapital von 24 950 Talern (74 850 Mark) bei sämtlichen Zehntpflichtigen zur Ablösung kam.
In einem Kartenblatt aus dem 19. Jahrhundert ist die Gemarkung Süsterfeld in kleine und kleinste Parzellen eingeteilt. Das änderte sich durch die am 26. September 1881 von den Niederzwehrener Grundbesitzern bei der königlichen Generalkommission beantragten und am 21. November 1901 durchgeführten Verkoppelung. Süsterfeld kam nach der Verkoppelung zum größten Teil an den preußischen Staat, unterstand der Domänenverwaltung der Regierung und wurde von der Domäne Wahlershausen bewirtschaftet. Auf das Domänenland wurde die Stadtrandsiedlung Süsterfeld gebaut. Es wurde den Siedlern in Erbpacht gegeben, so wie vor Jahrhunderten die Niederzwehrener Bauern das Land vom Kloster Oberkaufungen in Erbpacht erhalten hatten. Die Niederzwehrener Flurbezeichnung „Auf dem Süster" und der Name des Feldbaches „Der Süster" wurden von der Stadtrandsiedlung, die im Jahre 1932 auf Wahlershäuser und Niederzwehrener Gelände gebaut wurde, als Name der Siedlung übernommen. Seitdem gibt es die Stadtrandsiedlung Kassel – Süsterfeld. Wenn auch das weite Gelände zwischen der Druseltalstraße und der Leuschnerstraße, der Heinrich-Schütz-Allee und der Main-Weserbahn und der Waldkappeler Bahn mit den Flurnamen „Im Stietz", „Am Marbachsgraben", „Auf dem Helleböhn", „Im breiten Rod", „Die Hollunderbreite", „Auf dem Süster", „Hinter dem Süster", „Am Eichweg" und „Im Fladig" und den beiden Feldbächen „Der Marbach" und „Der Süster" den meisten Kasselern unbekannt war, so ist die Siedlung „Hinter der Feldscheune am Hasselweg", wie sie in den ersten Anfängen auch genannt wurde, doch nicht in der Verborgenheit entstanden.
Dieser Siedlung Kassel-Süsterfeld, die neben der Siedlung im Erlenfeld bei Bettenhausen die erste dieser Art im kurhessischen Raum war, liegt die Verordnung der Regierung vom 6. Oktober 1931 zugrunde. Wie sehr sich die Behörden im Stadtkreis und im Landkreis Kassel, die Verbände und die weite Öffentlichkeit mit diesen Stadtrandsiedlungen beschäftigten, geht aus den Veröffentlichungen der Tagespresse hervor.
Das „Kasseler Tageblatt" schreibt in seiner Ausgabe vom 30. August 1932: „Die Stadtrandsiedlung marschiert! Eine Besichtigung der beiden Siedlungen Süsterfeld und Erlenfeld. Der Gedanke der Stadtrandsiedlung auf dem Wege der freiwilligen Selbsthilfearbeit ist wie jede neue und große Idee mancherlei Anfechtungen und Kritiken unterworfen. Die Stadt Kassel ist als eine der ersten deutschen Großstädte mit der praktischen Verwirklichung dieses zeitgemäßen Gedankens auf den Plan getreten, auch ihr sind gutgemeinte und böswillige Beanstandungen nicht erspart geblieben, aber das Werk schreitet fort, nachdem die Siedler mit allem Eifer und nach Überwindung bedeutender Schwierigkeiten tapfer an die Arbeit gegangen sind. Zwischen Siedlern und der Stadt besteht, soweit es überhaupt möglich ist, eine befriedigende Zusammenarbeit, man hat gelernt, nur das Mögliche und Erschwingliche zu fordern.
Vor etwa einem Jahr ging man an die Vorarbeit, jetzt stehen schon zahlreiche Häuser unter Dach. Die Hoffnung der Erwerbslosen, auf diesem Weg eine Dauerwohnung zu finden, scheint sich zu verwirklichen.
Draußen am Süsterfeld zwischen Dönche und Eisenbahndamm der Main-Weser- und Bebraer Bahn, in gesunder beherrschender Lage mit schönem Fernblick sind 106 Siedlungswohnungen im Entstehen begriffen, 56 am Rande des Stadtgebietes, 50 vom Landkreis erstellt. Sämtliche Einzelhäuser sind im Fachwerkbau gehalten ohne Aufwendung städtischer Mittel, lediglich mit dem staatlichen Zuschuss von 2 500 Mark pro Haus. Da die Siedlung Süsterfeld etwa 500 bis 600 Bewohner zählen wird, hat ein erwerbsloser Buchdrucker mit eigenen Mitteln noch ein Haus gebaut, das eine Kolonialwarenhandlung mit Wirtschaft beherbergen soll. Die Evangelische Kirchen Gemeinde plant den Bau einer Baracke, die religiösen Zwecken dienen soll. Die eigentlichen Bauarbeiten haben im Mai begonnen, man kann mit den Fortschritten der Bauten wirklich zufrieden sein. Die Stadt hat dauernd Fühlung mit den Siedlern gehalten, es wurden Arbeitsgruppen mit je 25 Mann mit Obmännern gebildet.
Neben dem nackten Wohnbedürfnis tritt natürlich auch ein gewisses Geltungsbedürfnis zutage, das kleine Schönheitsverbesserungen wünscht. In jeden einzelnen Bau wurden schon über 1000 Arbeitsstunden hineingesteckt, Erweiterungsmöglichkeiten sind vorgesehen, z. B. der Ausbau des offenen Raumes neben dem Stall zu einer Küche. Vorläufig kann schon der ursprünglich nicht beabsichtigte Ausbau der Dachstube erfolgen, so dass vier Wohnräume zur Verfügung stehen. Eine offene Frage bleibt noch die Einfriedung des Grundstücks und die Elektrizitäts-Versorgung.
Der Durchschnittspreis einer Stadtrandsiedlungs-Wohnung kann mit 2170 Mark beziffert werden. Dazu kommen noch etwa 130,— Mark für Wasserleitung und kleine Nebenkosten. Es stehen also noch etwa 200,— Mark für lebendes und totes Inventar zur Verfügung. Der wahre Wert des Hauses dürfte sich aber mit Einrechnung der Arbeit auf zirka 4 000,— Mark stellen, so daß der Staat mit seinem Darlehen von 2 500,— Mark eine sichere erste Hypothek hat.
Der Beweis ist erbracht, daß ein Eigenheim auch für Unbemittelte herstellbar ist. Auf die einzelnen Fachwerkhäuser entfallen rund 50 Quadratmeter Wohnraum. Die Zimmer sind nicht zu klein, sie werden ihrem Zweck durchaus genügen. Unten Wohnraum und Schlafraum, oben ein zweiter Schlafraum mit Bodenkammer.
Der Typ der Hessischen Heimat, der bei den 50 Häusern des Landkreises angewendet wurde, bevorzugt die Holzbauweise. Die Gebäude, die zum Teil schon fast fertig sind, machen innen und außen einen schmucken Eindruck."
Wie sehr sich auch die Hausfrauenvereine Kassels mit dem Gedanken der Stadtrandsiedlung vertraut gemacht und sich darum bemüht haben, den Siedlerfrauen ihre Hilfe anzubieten, geht aus einem Bericht des „Kasseler Tageblattes" von Anfang September 1932 hervor: „Hausfrauen besuchen die Stadtrandsiedlung. Mit großem Interesse besichtigte die vereinigte Frauen-Baukommission des Hausfrauenvereins und des Vereins Frauenkultur die Stadtrandsiedlungen auf dem Süsterfeld und bei Bettenhausen. Während noch vor kurzer Zeit in diesen Kreisen großes Bedauern herrschte über das eingeschränkte Bauprogramm des Reiches für Siedlungszwecke und man geglaubt hatte, auf die kulturellen Errungenschaften der elektrischen Beleuchtung, Zentralheizung, Wasserversorgung, Bad usw. nicht verzichten zu dürfen, hat man sich inzwischen, entsprechend den Ereignissen unserer schnelllebigen Zeit, davon überzeugt, dass ein Zurück zur Einfachheit ohne die Bequemlichkeiten der modernen Technik für diesen besonderen Zweck Gebot der Stunde ist. So herrschte große Befriedigung über die am Rand unserer Stadt entstehenden dörflichen Siedlungen, über deren technische und finanzielle Einzelheiten die Presse erst kürzlich anlässlich einer Besichtigung berichtete. Darum nur einiges Prinzipielle vom Standpunkt der Frau: Das Sesshaftmachen Erwerbsloser auf eigener Scholle im selbsterbauten Heim hat soviel Gesundes, Erzieherisches, Wertebildendes für sich, daß über den Grundgedanken kein Wort weiter zu verlieren ist. Maßgebend aber für das Vorwärtskommen solcher Siedlungen ist die Geeignetheit der Frau für das ländliche Leben. Den sachlichen Voraussetzungen, der Kenntnis des Gartenbaues, der Landwirtschaft, der Kleintierzucht, der sparsamsten Wirtschaftsführung müssen die körperlichen und geistigen Vorbedingungen gesunden, einfachen Lebensstils, Gewissenhaftigkeit, Fleiß und Liebe zur Arbeit entsprechen. Deshalb begrüßt und unterstützt die Frauen-Baukommission alle Pläne, die eine Umstellung und Schulung der Frauen und Tochter der Siedlung erstreben, sei es in Form von Beratungskursen und belehrenden Zusammenkünften an Ort und Stelle, sei es durch Koch- und Einmachvorträge oder Vorführungen, sei es durch Ansiedeln von stellenlosen Gärtnerinnen und hauswirtschaftlich vorgebildeten Lehrerinnen in Form von Genossenschaften, um weniger durch Worte als durch Taten in der Wirtschaftsführung eines solchen Kleinhauses und Bestellung des Grund und Bodens ein Musterbeispiel der Umgebung vorzuleben. In Erkenntnis dieser Notwendigkeit wurden Fragebogen ausgearbeitet für Bewerberinnen, die gewillt sind, diese wichtige und zeitgemäße Pionierarbeit zu leisten. Es wird nun Aufgabe der Stadt und der interessierten Frauenorganisationen sein, die möglichen Wege zur besten Schulung der Siedlerfrauen zu überlegen und in die Tat umzusetzen. Erst dann wird diese in bestem Sinne „produktive Erwerbslosenfürsorge" gesunde und durch ihre nützliche Arbeit zufriedene Menschen in den Produktionsprozess wieder einreihen." Während sich die Kasseler Öffentlichkeit mit der Problematik der Kleinsiedlungen beschäftigte und die Kasseler Zeitungen ihre Spalten mit Gedanken über die Stadtrandsiedlungen füllten, während die Hausfrauenvereine überlegten, wie man den Siedlerfrauen helfen könnte, den Siedlerhaushalt zu führen, den Garten zu bebauen und die Kleintierzucht zu halten, standen schon die Siedler und die Siedlerfrauen an der Arbeit, das gute Werk zu beginnen, es durchzuführen, um es dann Jahr um Jahr zu verbessern und zu verschönern. Darüber soll nun berichtet werden.

 

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